JüRGEN PHILIPP - CHEFINFO 5/2020
7. Oktober 2020
EUROPA. Christoph Leitl war 1990 Wirtschafts-Landesrat eines schwer gezeichneten Bundeslandes.
Er führte OÖ wieder zur Spitze, war WKO-Präsident und ist nun Präsident der Eurochambres.
Sie traten 1990 in die Politik ein. OÖ lag damals wirtschaftlich danieder. Was brauchte es, um das Land wiederaufzubauen?
Leitl: Mein Eintritt in die Politik folgte fast gleichzeitig mit der Gründung der CHEFINFO. Es war die Zeit des Zusammenbruchs der Verstaatlichten und der Krise in der Grundstoffindustrie. Kaum einer erinnert sich heute daran, dass KTM damals pleite war. Die Stimmung war also denkbar schlecht. Ich kann mich an ein ZIB-Interview 1990 erinnern, in dem ich gefragt wurde: „Herr Leitl, gehen in Oberösterreich jetzt die Lichter aus?“ Der Steyrer Bürgermeister sagte damals zu mir:
„Wir hatten eine große Vergangenheit, aber nur mehr eine kleine Zukunft.“ Ich entgegnete: „Liegt das nicht an uns, wie unsere Zukunft aussehen könnte?“ Und was ist passiert? Wir haben BMW, MAN und andere Firmen nach Steyr gebracht und den Optimismus zurückgeholt. Das erzeugte eine Aufbruchstimmung. Wir hatten es selbst in der Hand, für Optimismus zu sorgen.
Ich kann mich an ein ZIBInterview 1990 erinnern, in dem ich gefragt wurde: ‚Herr Leitl, gehen in Oberösterreich jetzt die Lichter aus?‘
Christoph Leitl – Präsident der Eurochambres
Wir wollten bis Ende der 1990er Jahre zu einer Top-Ten-Region in Europa werden, und das ist gelungen. Natürlich ist die Krise heute völlig anders zu bewerten. Was aber damals wie heute gilt, ist es, Ziele zu setzen, Vertrauen zu schaffen und Motivation zu erzeugen, dann geht alles. Ich finde es falsch, wenn heute von einer zweiten Welle oder einem zweiten Lockdown geredet wird. Wer soll denn in so einer Stimmung investieren? Wir dürfen nicht in kollektive Angstzustände verfallen. Die Angst und Verzweiflung derzeit muss man durchbrechen.
Sie sind Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer. Welche Entwicklung sehen Sie für Europa vor allem im Hintergrund des US-China-Wirtschaftskrieges?
Leitl: Die EU ist nach wie vor die stärkste Volkswirtschaft der Welt. Die USA kämpfen derzeit mit allen – auch unfairen – Mitteln um die Vormachtstellung. Man will der EU sogar vorschreiben, von wem wir unser Gas beziehen sollen. Für Europa ist vor allem eines entscheidend: Investitionen in Aus- und Weiterbildung. Es ist nicht genug, wenn man immer schreit:
„Weniger Steuern, weniger Bürokratie!“ Das ist natürlich wichtig, aber um langfristig bestehen zu können, braucht es Innovation und die benötigte Bildung.
Was aber damals wie heute gilt, ist es, Ziele zu setzen, Vertrauen zu schaffen und Motivation zu erzeugen, dann geht alles.
Christoph Leitl – Präsident der Eurochambres
Wenn die EU all das richtig macht, dann kann sie auch als der lachende Dritte aus dem Wirtschaftskrieg hervorgehen. Und wir müssen offen für alle sein. Russland oder China sehen die EU heute als verlängerten Arm der USA. Das darf nicht sein. Wir müssen mit China völlig faire Abkommen erzielen, mit gegenseitiger offener Kooperation, und den USA zeigen: „Schaut her, mit China kann man verhandeln.“ Russlands Außenminister Lawrow meinte 2019 zur EU: „Starten wir neu.“ Die EU hat aber darauf nicht reagiert. Die Welt ist so verknüpft und wenn man nur einen Strang beschädigt, beschädigt man sich selbst. Die USA merken das bereits. Die EU sollte als neutraler Mittler diesen Prozess anstoßen, also proaktiv sich für fairen Welthandel einsetzen.
Artikel entnommen aus Chefinfo 5/2020