20. Juli 2023
Worte des Friedens scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. Es wäre die letzte Chance für Österreichs Neutralität. Ein Gastkommentar von Christoph Leitl im Kurier.
Der Appell Bertha von Suttners, österreichische Friedensnobelpreisträgerin, verhallte ungehört. Wenige Tage nach ihrem Tod wurden die Waffen erhoben. Der Erste Weltkrieg begann, 20 Millionen Tote waren die schreckliche Folge. Der Schlacht von Solferino, die von Suttner zu ihrem flammenden Friedensappell „Die Waffen nieder!“ inspiriert hatte, folgten die Schlachten von Verdun und am Isonzo.
Heute sind es Mariupol und Bachmut, die für sinnloses Gemetzel, für Tod, Verwundung und Vertreibung stehen. Und wieder verhallen Worte ungehört: Worte von Papst Franziskus, der Dialog statt Krieg fordert. Worte von UNO-Generalsekretär Guterres, der die Gefahr eines dritten Weltkrieges beschwört.
Worte des Friedens und des Dialogs scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. Statt in Dimensionen des Dialogs mit dem Ziel einer friedlichen Lösung für diesen europäischen Krieg werden weitere Eskalationsschritte gesetzt. Putin bombardiert Wohnhäuser im (altösterreichischen!) Lemberg, Biden liefert nunmehr international geächtete Waffen, die auch die Russen einsetzen. Hat Guterres recht?
Was macht Europa, um dem drohenden apokalyptischen Szenario entgegenzuwirken? Zaghafte Versuche des französischen Präsidenten Macron, einen eigenständigen europäischen Weg zu gehen, wurde mit eisigem Schweigen quittiert. Man hofft auf die Vermittlung von China und der Türkei – beides eine Fata Morgana – weil sie im Lager Russlands sind.
Letzte Chance für Neutralität
Und wir Österreicher? Wir diskutieren in einer blamablen Art und Weise, wie es mit unserer Neutralität weitergehen soll. Längst sind wir von einem geachteten Akteur für Friedensvermittlungen, der wir in Zeiten von Kreisky gewesen sind, zu einem unbedeutend und hilflos agierenden Zuseher geworden. Wenn Neutralität heute Sinn und Inhalt haben soll, dann doch nur in der Förderung von Begegnungen und Initiativen zum Dialog. Nein, wir können und sollen keine Vermittler oder gar Lösungserbringer sein. Aber alle Beteiligten zu einer Konferenz zusammenzubringen: Gastgeber zu sein für die Ukraine und Russland, USA und Europa, UNO und die OSZE. Das sollten wir zumindest versuchen. Vielleicht könnte ein Jean Claude Juncker bei einem solchen Dialog eine wichtige Rolle spielen. Er hat in der Auseinandersetzung zwischen den USA und Europa bewiesen, dass er das kann.
Zu idealistisch gedacht? Möglicherweise. Aber ist es nicht einen Versuch wert? Wer einen Versuch wagt, hat zumindest eine Chance. Wer keinen Versuch wagt – und das tut Österreich derzeit – ist dazu verurteilt, der Entwicklung, die andere steuern, zu folgen. Mit allen Konsequenzen, mit allen Turbulenzen. Noch nie war eine aktive und engagierte Neutralität Österreichs so gefragt wie gerade jetzt. Es ist die wahrscheinlich letzte Chance, unserer Neutralität Sinn und Inhalt zu geben und damit unserer Verantwortung für unser Land und Europa zu entsprechen.
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