30. September 2021
IWS-Präsident Leitl: „Höchste Zeit für europäische Industrie-Strategie“
„Europa ist, was Energie und Rohstoffe betrifft, ungeheuer abhängig und damit verwundbar. Daher muss Europa im Zuge einer eigenen industriellen Strategie definieren, welche Sicherheiten man in den Lieferketten braucht, und diese mit speziellen Handelsabkommen sicherstellen“, stellt Christoph Leitl, Präsident von Eurochambres und der Initiative Wirtschaftsstandort OÖ (IWS) fest. „Der derzeitige Engpass geht vor allem auf die enorme Nachfrage der USA und Chinas zurück. Beide Länder haben aktuell Wachstumsraten von acht bis neun Prozent, Europa liegt bei vier bis fünf Prozent. Zudem haben viele Hersteller ihre Produktion in der Krise zurückgefahren. Das heißt: Ein verringertes Angebot trifft jetzt plötzlich auf eine sehr starke weltweite Nachfrage. Die Lager sind geleert, die internationalen Transportkapazitäten überfordert.“
Leitl fordert daher eine weitsichtige europäische Wirtschaftspolitik, die darauf achten müsse, dass man nicht nur mit den hochentwickelten Ländern wie den USA, Japan oder Kanada Wirtschaftsabkommen schließt, sondern auch mit Ländern, die für die Energie- und Rohstoffversorgung von Europa essenziell sind. Europa und Russland würden sich da extrem gut ergänzen. „Auch beim MERCOSUR-Abkommen hätten wir die Möglichkeit sinnvoller Ergänzungen. Und wir dürfen Afrika nicht vergessen. Der Kontinent hat ein unglaubliches Potenzial. Europa muss hier als Partner in Bildung und Qualifikationen investieren und darf nicht den Chinesen den Kontinent überlassen. China grast die Welt ab, wir Europäer schlafen“, warnt Leitl.
Europa müsse aber auch definieren, wo die Bereiche sind, in denen man weltweit zukünftig erfolgreich sein könne. Etwa bei der Kreislaufwirtschaft. Leitl: „Wenn wir das professionell machen, können wir zum weltweiten Technologieführer in diesem Bereich werden. Doch wir dürfen nicht zuwarten. Es braucht eine europäische Innovations- und Exportinitiative. China oder die USA marschieren technologisch voran, Europa wird zunehmend vom Innovator zum Imitator.“ Bestes Beispiel sei die Telekommunikation: Da hatte Europa einmal Weltmarktführer wie Nokia und Siemens. Heute hechle man hinter Apple und Huawei her. Ähnlich bei Solarpaneelen, Arzneimitteln oder der Chip-Produktion. „Es ist höchste Zeit für eine europäische Industriestrategie!“, fordert Leitl.